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Türkische Künstler gehen bis zur Grenze, überschreiten sie aber nicht

Im September erhielt die momentan recht unruhige Wiener Galerienszene neuerlich Zuwachs: Feza Velicangil eröffnete in den einstigen Räumlichkeiten der Kerstin Engholm Galerie eine Dependance ihrer Istanbuler Galerie Sanatorium. Nun zeigt sie auf der viennacontemporary drei Positionen: Luz Blanco, Stephan Kaluza und Ludovic Bernhardt. Wenige Tage nach der Vernissage ihrer ersten, sehr gelungenen Ausstellung in der Schleifmühlgasse, kuratiert von Sabrina Steinek, besuchte sie artmagazine an ihrem neuen Arbeitsort.

artmagazine.cc: Für deine erste Ausstellung hier hast du eine Kuratorin engagiert. Wieso?

Feza Velicangil: In Wien kennt mich und meine Künstler niemand. Hier will ich ein anderes Programm machen als in Istanbul. Deswegen engagiere ich Kuratoren.
Die nächste Ausstellung wird Salvatore Viviano kuratieren. Dann gibt’s eine Soloshow mit Lucas Zallmann, einem österreichischen Künstler. Danach möchte ich einen türkischen Künstler, Sergen Sehitoglu, gemeinsam mit einem polnischen zeigen.
Da arbeite ich mit der Propaganda Galerie aus Warschau zusammen. Später zeige ich eventuell einen anderen türkischen Künstler, Erol Eskici. Wenn ich pro Jahr sechs Ausstellungen mache, sollen zwei türkische Künstler dabei sein.

Wie bist du auf diesen Ort hier gestoßen?

Ich hatte so viel Glück! Ich bin ja schon seit Mai in Wien, und eines Tages lernte ich auf einer Geburtstagsparty die Künstlerin Elke Krystufek kennen.
Damals hatte ich schon einen kleinen Raum in der Neustiftgasse für sechs Monate gemietet und suchte für danach einen anderen. Elke erzählte mir, dass hier eine Galerie leer stehe. Am nächsten Tag stand ich hier vor der Tür.

Du warst in der österreichischen Schule in Istanbul. Ist das der Hintergrund deines Engagements hier?

Natürlich! Ich lebte zwischen 1990 und 1996 in Wien, habe in der Spengergasse Textildesign studiert, zuvor auch Wirt-schaftsinformatik, wo ich allerdings nur den ersten Studienabschnitt absolvierte.

Hast du trotz deiner Verbindung zu Wien auch andere Städte wie London oder New York in Erwägung gezogen?

Diese Städte werden immer sofort genannt, wenn man im Ausland etwas mit Kunst machen will. Eine Kollegin von mir aus Istanbul, Yesim Turanlı, führt eine Galerie in London.
Als sie diese eröffnete, war sie schon 15 Jahre lang Galeristin, reiste auf alle möglichen internationalen Messen. Doch als sie in London startete, war es für sie, als finge sie bei Null an. London ist so teuer, und es gibt so viel Konkurrenz! Also ich habe das im Moment nicht vor. Vielleicht dann, wenn in Wien alles gut geht. Als dritte Galerie.

Wie ist der Kontakt zu Sammlern hier?

Die kenne ich noch gar nicht. Ich komme zwar seit vier Jahren auf die viennacontemporary, aber vier Messetage sind nicht genug. Man kann Leute kennenlernen und einiges verkaufen. Aber der engere Kontakt, das wird wohl erst jetzt entstehen.

Wenn du die Kunstszene in Istanbul mit der in Wien vergleichst: Was ist ähnlich, was ist verschieden?

Wenige Tage nach der Eröffnung hier hatten wir auch in Istanbul eine, die ebenfalls sehr gut lief. Aber hier war es anders. Ich habe einigen Leuten, zum Beispiel im Mumok und in der Kunsthalle, Einladungen gemailt.
Sie haben geantwortet! Ich war erstaunt. Das kennen wir in Istanbul nicht. Was auch ganz anders ist: In Istanbul geht es nur um Sammler. Es gibt nicht so viele Institutionen.
Natürlich haben wir die Biennale, das Istanbul Modern, das Sakıp Sabancı Museum und einige mehr – alles privat finanziert, nicht öffentlich. Die Privatsammlungen im Vergleich zu europäischen sind klein.

Das wäre dann doch eine Gemeinsamkeit mit Wien.

Gut, stimmt.

Im März wurde die kurdische Künstlerin Zehra Dogan aufgrund eines Kunstwerks eingesperrt. Ansonsten liest man mehr über Journalisten oder Schriftsteller, die wegen regierungskritischer Äußerungen verhaftet werden. Steht die bildende Kunst weniger im Fokus der Erdogan-Regierung?

Ja, weil die Kunstszene so klein ist. Außerdem sehen sie, dass die visuelle Kunst die Leute nicht so beeinflusst wie Theater oder Literatur. Daher lassen sie uns in Ruhe.
Aber man muss aufpassen. Es gibt eine gewisse Selbstzensur. Man kann auch nicht allen über den Weg trauen. Wenn jemand etwas sieht, das ihm oder der Regierung nicht passt, kann es Probleme geben.

Wie konkret wird Selbstzensur ausgeübt?

Arabische Künstler haben darin Übung: Sie gehen bis zur Grenze, überschreiten diese aber nicht. Das machen die türkischen Künstler jetzt auch.

Das heißt, man trifft keine direkten Aussagen – aber ein wissendes Publikum erkennt durchaus kritisches Potenzial?

Ja. Provokativ ist die Kunst meistens nicht – obwohl ich nicht für alle Künstler sprechen kann. Aber es gab zum Beispiel letztes Jahr auf der Messe, der Contemporary Istanbul so einen Fall.
Ali Elmacı zeigte dort die Skulptur einer Frau im Badeanzug, darauf war der osmanische Sultan Abdülhamid II. abgebildet.
Eine Gruppe von Männern kam auf die Messe und verlangte, dass die Skulptur verschwinden solle. Die Messe sagte, das ist ein privater Raum, wir machen das nicht. Aber der Künstler selbst entfernte die Skulptur.
Die Messe dauerte zu diesem Zeitpunkt noch vier Tage. Wenn jeden Tag zwei Gruppen gekommen wären, hätte es ziemliche Unruhe gegeben. Das meine ich mit Selbstzensur.

Mehr Texte von Nina Schedlmayer

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