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Laut pfeifen im Wald

Als gäbe es kein Morgen, lassen es die Beteiligten auf der Frieze London und der Frieze Masters krachen. Das Galerie-Imperium Hauser & Wirth jubelt schon exakt zwei Stunden und sieben Minuten nach Öffnung der Messe für die Privilegierstesten unter den VIPs (um elf Uhr) über die tollsten Verkäufe je in London. Über 14 Millionen US-Dollar habe man für drei Gemälde von Cy Twombly (1968, 6,5 Mio. USD), Philip Guston (1979, um 5 Mio.) und Mark Bradford (3,4 Mio., Farbe gerade getrocknet) eingenommen. Gut zwei Stunden später schiebt eine zweite Pressemitteilung noch einmal Kleinzeug nach, das sich auf über sechs Millionen Euro/Dollar/Pfund addiert. Die Unterschiede bei den drei großen Währungen seien ohnehin zu vernachlässigen, erklärt ein Galerist süffisant. Im Zweifelsfall schlügen die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze stärker zu Buche.

Aber nicht nur Umsätze und PR-Maschinerie laufen auf Hochtouren. Die Aussteller haben sich ebenso ins Zeug gelegt. So viele extravagante Solo-Präsentationen waren schon lange nicht mehr zu sehen. Gleich zwei Bars gibt es. Eine ist tatsächlich Kunst – nämlich eine Art Wild West-Saloon von Jonathan Meese, in der Galerist David Nolan aus New York stilecht Whisky ausschenken lässt. Die andere hat Johann König aus Berlin neben seinem Stand aufbauen zu lassen, um dort zusammen mit einem Gin-Sponsor die Leuchtkästen von Yinka Ilori im Schummerlicht angemessen wirken zu lassen.

Selbst Gagosian tritt nicht mit einer bunten Mischung Glitzerware an, sondern zeigt in institutionell wirkender Präsentation neue Arbeiten von Sterling Ruby. Lia Rumma aus Neapel hat sich den gesamten Stand von Joseph Kosuth einrichten lassen. Reiner Abverkauf war gestern, so scheint es.

Die großzügig inszenierte Solo-Show inklusive Performance von Donna Huanca bei Simon Lee aus London und New York diene eher Demonstrationszwecken, erklärt Direktor Andreas Hecker: "Wir haben ohnehin keine Probleme, ihre Arbeiten zu verkaufen. Aber wenn man mit Museen und großen Sammlern eine Performance-Künstlerin wie Huanca nahebringen will, muss man sie eben auch an so einem Ort entsprechend zeigen."

Ums Herzeigen geht es auf der Frieze Masters unter anderem auch. Das Thema der Szene ist natürlich der angeblich letzte in Privatbesitz befindliche Botticelli. Der kolportierte Kaufpreis von 30 Millionen scheint zwar etwas hoch gegriffen, sorgt am Eröffnungstag aber tatsächlich für eine Schlange am Stand von Trinity Fine Art aus London.

Zwischen diesem Renommierstück und den durchaus zu machenden Entdeckungen liegt viel Dekoratives bis Museumswürdiges, das allerdings selten Neuigkeitswert hat. Sehnsuchtsort ist für die etwas wagemutigeren Sammler wie für weniger in den Schlagzeilen stehenden Galerien die Sektion Spotlight. Einige Künstler werden hier in der Tat zum ersten Mal seit einigen Jahrzehnten wieder international präsentiert, etwa KP Brehmer von Volker Diehl aus Berlin. Bei Preisen ab 2.200 Euro ging auch beim hier eher konservativen Publikum etwas. Großformate von Ernst Wilhelm Nay mit Preisen zwischen 750.000 und 850.000 Euro brauchen bei Aurel Scheibler aus Berlin hingegen etwas länger.
Spät zu ihrem Recht kommt die 2010 gestorbene Mexikanerin Helen Escobedo, von der Proyectos Monclova aus Mexiko-Stadt Arbeiten aus den 60er bis 80er Jahren zeigt.

London scheint immer noch oder gerade der Ort zu sein, an dem Investitionskunst gehandelt wird. Ob hier angesichts der unsicheren politischen Lage noch einmal auf dem Vulkan getanzt wird oder nur sehr laut im Wald gepfiffen, lässt sich dabei nicht so genau ausmachen.

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Frieze London
https://frieze.com/fairs/frieze-london

Frieze Masters
https://frieze.com/fairs/frieze-masters

Regent's Park, London
3. bis 6. Oktober 2019

Mehr Texte von Stefan Kobel

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