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Statement: Gewalt, Korruption und Dummheit austreiben.

Was bedeutet künstlerisches Handeln heute, wo die Betrachtung von Kunst von dem geprägt ist, was unsere soziale, politische und ökologische Gegenwart ausmacht?

Der Mut zu gesellschaftlicher Veränderung lässt sich am besten dort organisieren, wo Verwerfungen symbolhaft sichtbar werden. Woran wären die Grenzen des aktuellen Wirtschaftens greifbarer, wenn nicht am Beispiel der einsetzenden Klimaerwärmung? Gerade deshalb ist es für unsere Jetzt-Zeit bezeichnend, dass sich die Energie von Unzufriedenen dort entlädt, wo die Natur direkt angegriffen wird. Man denke etwa an die Proteste von 2013 in Siebenbürgen gegen ein umstrittenes Goldbergbauprojekt der rumänischen Regierung, welche die bis zu diesem Zeitpunkt größten Umweltdemonstrationen des postkommunistischen Landes darstellen. Die Demonstrationen in der Türkei, die im selben Jahr stattfinden und sich gegen die islamisch-konservative Regierung Erdoğans richten, gehen auf die gewaltsame Räumung des Gezi-Parks zurück, einer der letzten verbliebenen Grünflächen der Millionenstadt. Nicht lange danach verlässt die Fridays-for-Future-Bewegung – 2018 von der schwedischen Schülerin Greta Thunberg in Gang gesetzt – den lokalen Kontext, um sich schon im Jahr nach ihren Anfängen als globaler Protest zu etablieren. Die Bewegung hat nicht nur örtlich begrenzte Umweltsünden vor Augen, sondern wird vielmehr von einer weltweit wachsenden Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen, die sich aufgrund immer dichter werdenden Evidenzen bereit erklärt hat, an die von Menschen verursachte Erderwärmung zu glauben.

Kann der Kampf um den Erhalt der Natur an die Stelle all jener Konflikte treten, die in der Vergangenheit und im Jetzt zugunsten einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft ausgefochten werden?

Ein Tätigkeitsfeld, das sich in seiner jüngeren Geschichte selbst eine gewisse Nähe zu gesellschaftlichen Missständen zuspricht und zudem nicht abgeneigt ist, Zukunftsszenarien zu entwerfen, ist die bildende Kunst. Was aber konstituiert künstlerisches Handeln heute, wo auch die Betrachtung von Kunst mehr denn je von dem geprägt ist, was unsere soziale, politische und ökologische Gegenwart ausmacht? Am deutlichsten kann dies wohl an künstlerischen Praktiken abgelesen werden, die – ganz allgemein – vom Wunsch nach Veränderung gekennzeichnet sind. Ich möchte anhand nur einiger weniger Beispiele die Bandbreite an künstlerischen Handlungsformen skizzieren, die sich entlang der Schnittstelle betroffener Individuen zur Welt auftut.

Die wohl direkteste Möglichkeit, auf Missstände zu reagieren, bieten freilich aktionistische Formate. Ihr Vorteil besteht darin, sich auf eine gewisse Tradition berufen zu können, die nicht nur in diesen Breitengraden Leitfäden künstlerischer Artikulation bereitstellt. Anders verhält es sich, wenn eine Aktion nicht unbedingt darauf anlegt ist, als Kunstwerk dokumentiert, oder im Nachhinein künstlerischer Verwertung zugeführt zu werden. Verfolgt man etwa die Praxis von Gabriele Sturm, so steht keineswegs von vornherein fest, ob daraus eine künstlerische Arbeit hervorgehen wird. Alle Aufmerksamkeit richtet sich vorerst auf das beanstandete Problem. Etwa galt die 2019 lancierte Petition der Künstlerin dem Erhalt eines sozialen und ökologischen Freiraums im Gelände des Wiener Eisring Süd und der Erneuerung seiner 400-Meter-Bahn. Losgelöst vom Kompromiss, der durch den Aufruf erreicht werden konnte, übersetzt die Künstlerin ihren Protest schließlich in eine wandfüllende Arbeit, die sich wie eine fortwährende Chiffre des Widerstands liest.

Die Künstlerin Borjana Ventzislavova wiederum befasst sich erst gar nicht damit, politische Entscheidungsträger ausfindig zu machen, um ihnen gegenüber Kritik zu äußern. Die Hoffnung auf übergeordnete Instanzen unserer Gesellschaft, die den sich anbahnenden Naturkatastrophen etwas entgegenzusetzen haben, scheint sie aufgegeben zu haben. Stattdessen arbeitet sie an einem Vokabular präzise ausgestalteter magischer Rituale für die Darstellenden ihrer Filme und Fotointerventionen, aber auch für ihr Ausstellungspublikum. Sie sollen Gewalt, Korruption und Dummheit austreiben. Der Erdboden, die Luft, der Wald, die Berge – sie alle scheinen geeigneter, ihre inständigen Signale zu registrieren als etwaige politische Rezipienten. Die Natur selbst ist ihr erster und letzter Adressat.

Dass die Natur jedoch als Idee genauso sehr konstruiert ist wie sie in der Realität bedroht scheint, davon berichtet eine robotische Apparatur von Paul Spendier. Der Künstler versetzt einen Ficus benjamini – die beliebte und heimgerechte Zimmerpflanze – mithilfe eines computergesteuerten Elektromotors in an- und abschwellende Bewegungen und erzeugt damit etwas, was für alle vertraut klingen muss: Das Rauschen von Blättern. Doch so sehr dieses akustische Stimmungsbild für sich einnimmt – mit seinem Cyborg, der aus Maschine und Pflanze besteht, thematisiert der Künstler die vermeintlich authentische Naturerfahrung als etwas Synthetisches.

Im alles entscheidenden Moment, in dem sich die Natur zum Movens eines größeren systemischen Umbruchs formt, verwandelt sie sich in etwas, was nicht nur alle überragt, sondern auch alle betrifft.

Vielmehr als im Hintergrund konstruierter Eindrücke und Vorstellungen, steht jedoch heute die Erfahrung (bedrohter) Natur als Vehikel gesellschaftlichen Wandels im Vordergrund. Davon zeugen künstlerische Dokumentarismen, deren analytische und oftmals poetisierende Darstellungen problematischer Zusammenhänge die Sachlage vor ihrem Publikum detailreich und eindringlich ausbreiten sollen, sodass sich dieses den plausibel vorgetragenen Evidenzen nicht mehr verwehren kann. Wenn jedoch Johannes Gierlinger den Gezi-Park und die an seinem Ort kulminierende Protestbewegung mittels Filmskizzen, Tagebuchaufzeichnungen und Fotografien festhält, geht er noch einen Schritt weiter als lediglich Ursachen und Ausdrucksformen der Bewegung zu dokumentieren. Er zeigt die Transformation eines Stücks Park inmitten der Millionenmetropole Instanbul, der von einem innerstädtischen Ort der Ruhe zum Zeichen des Widerstands mutiert.

Dieses Zeichen gilt allerdings noch vielem mehr als nur dem bedrohten Baumbestand. Denn nicht nur in dem Maße, in dem wir uns klimatischer Veränderung ausgesetzt sehen, wird die Natur heute zu etwas, was uns alle überragt. So dient sie dieser Tage – für viele erst jetzt so recht sichtbar – als eingängiges und gültiges Symbol, das sich zur Bezeichnung systemimmanenter Widersprüche heranziehen lässt. So wie sich genuiner Protest dadurch auszeichnet, dass er sich nicht nur dem Zeichen verpflichtet sieht, in dem gekämpft wird (in unserem Fall die bedrohte Natur), gilt die Kritik vielmehr jenem System, welches die beanstandete Problematik erst erzeugt. Genau hier lauert die wohl spannendste Frage unserer Zeit: Kann der Kampf um den Erhalt der Natur an die Stelle all jener Konflikte treten, die in der Vergangenheit und im Jetzt zugunsten einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft ausgefochten werden? Im alles entscheidenden Moment, in dem sich die Natur zum Movens eines größeren systemischen Umbruchs formt, verwandelt sie sich in etwas, was nicht nur alle überragt, sondern auch alle betrifft.

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Die beschriebenen Arbeiten werden aktuell gemeinsam mit anderen in der Ausstellung „Petition“ gezeigt, die bis 26.1.2020 im Salzburger Kunstverein zu sehen ist.

Mehr Texte von Philippe Batka

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