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Gelebt - Ingeborg Strobl: Die Retrospektive als Moratorium

Die Künstlerin Ingeborg Strobl, der das Mumok aktuell eine posthume Überblickausstellung widmet, setzte sich mit der Sprache der Malerei auseinander, obwohl sie eigentlich keine leidenschaftliche Malerin war. Beginnend mit den 1970er-Jahren war ihr Schaffen, wie sonst die Kunst der Frauen damaliger Zeit „eigen-sinnig“, eigenwillig realitätsnah und vor allem medienübergreifend: Fotografieren, Collagieren, Archivieren, Spurensichern und all-over Gestaltung waren die eingefleischten Aktivitäten der österreichischen Künstlerin, die, mit besonderer Liebe zum Naturhaften, die Tradition des Konzeptuellen und Minimalistischen mit ihren sparsamen und „armen“ Ausdrucksmitteln weiterführte.

Ingeborg Strobls Arbeitsmethode umfasste Sammeln, Beobachten und eigenwilliges Dokumentieren von vorgefundenen Weltbildern, Sprachblasen und banalen Dingen, wobei sie gleichzeitig neben der Künstlerinnen-Existenz auch andere Rollenbilder zelebrierte, wie die einer Sennerin, Spurensucherin oder reisenden Reporterin mit befremdend antikanonischem, weil peripherem Wahrnehmungsfokus. Der erstreckt sich bei ihr sowohl auf solche angewandten Techniken wie Drucksorten, Textcollagen und Videoschnitte als auch auf ihre fortlaufend reflektierten Lieblingsmotive wie Tierbilder und Pflanzen, die in den beiden Ausstellungsräumen in großräumigen und luftigen Vitrinen zu bestaunen sind. Beiläufig erwecken sie den Eindruck exotischer, direkt aus dem Naturhistorischen herbeigeholter Panoptiken. Dabei handelt es sich bei Strobls desaströs-hybriden und oftmals cool kitschigen Kreationen an der Schnittstelle zwischen Tier und Gebrauchsgegenstand nicht um Vergangenes, sondern um das Hier und Jetzt und die Zukunft der auf Konsum und Ausbeutung der Ressourcen orientierten Überflussgesellschaft.

Wie der Kurator Rainer Fuchs bereits in der Ausstellung „Self Constructions“ (1995) diagnostizierte, intendierte Strobl „keinen Rückzug in das Reich schöner und weltfremder Gedanken“. Vermutlich aus diesem Grund malte sie keine „hervorragenden“ (zumeist abstrakten) Bilder „sicher und gut“, wie ihre etwas jüngeren antiseptischen Künstlerkollegen in den 80- und 90ern. Vielmehr entschied sie sich mit ihrer medienbasierten Kunst recht- bzw. frühzeitig dringliche Warnsignale für ihre (Um)welt zu setzen. Dafür eignete sie sich u.a. als künstlerisches Anti-Material die zerbrechliche und objektbetonte Keramik und nunmehr diverse Drucksorten (Broschüren, Plakate, Einladungskarten, Fotoromane oder Bücher) an. Diese erwiesen sich für die Verbreitung ihrer Schreckens-Ideen viel wirksamer als neoliberales Acryl auf Leinwand. Dieser Materialbezug in ihrem Schaffen begründete ihren Entschluss, Keramik in London zu studieren anstatt die Malerei in Paris. Die von Künstlerin bereits erwähnte Warnapelle erzählen hauptsächlich von der schädlichen Wirkung der Fleischindustrie auf das Klima oder der Kapitalisierung der Landwirtschaft, die letzte präsentiert hier in Form einer Wunderkammer. Strobl desavouierte ebenso den speziell ausgeprägten Belehrungsstil einiger österreichischen kommunalen Einrichtungen am Beispiel des denkmalgeschützten Wiener Stadthallenbades, das Verhaltensregeln für Schwimmer*innen vor der Sanierungsarbeiten durch ein erstaunliches Sammelsurium absurder Schrifthinweise und Verbote festlegte.

Nichts in ihrem, meist kleinformatigen Bilderkosmos drängt sich jedoch besonders auf - bis auf wenige „ekstatische“ Ausnahmen wie das Plakat der Ausstellung Kalt in der Wiener Remise oder Alle Wollen mehr nie Genug sowie das in Zeitraffer erfasste Vergehen und Verblühen einer Rosa-Tulpe, die das Titelmotiv der aktuellen Show mit dem von Strobl erdachten Titel „Gelebt“ darstellt. Einmalig pointiert und amüsant quittiert die Künsterin neben gesellschaftlich-politisch schief gelaufenen Entwicklungen auch einige, insbesondere für die Wiener Kunstszene virulenten Fragen, wie die des berüchtigten Sockelproblems. In ihrer Arbeit O.T. (Hasensammlung), löst sie es aktuell. Sie besteht aus einem tapezierten Podest, das jenes wie ein Ornament wiederholt auftauchende zerlumpte Hasenmotiv zeigt und einer Vitrine voll kitschiger, Nippes-artiger Osterhasen, zumeist Süßwaren. Mit diesem Querschnitt tierischen Martyriums sollte dem Trend zur Ökonomisierung der Kunstproduktion widersprochen werden. Es scheint aber keinen Zweifel daran zu geben, dass den Künstler*innen im Kampf gegen allerlei Katastrophen mehr oder weniger das gleiche Arsenal zur Verfügung steht wie den Altwarenhändlern oder Verkäufern gebrauchter Volkswagen. Langfristig kann aber auch hartnäckiges Querulantentum zum Erfolg führen.

Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Gelebt - Ingeborg Strobl
06.03.2020 - 11.04.2021

mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
1070 Wien, Museumsquartier, Museumsplatz 1
Tel: +43 1 52 500, Fax: +43 1 52 500 13 00
Email: info@mumok.at
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Öffnungszeiten: Täglich: 10.00–18.00 Uhr, Do: 10.00–21.00 Uhr


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