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Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer: Alles unter Kontrolle?

Immer noch gibt es viel zu wenig Ausstellungen zum Thema „Klimakatastrophe“. Im Kunsthaus Dresden ist es jetzt gelungen eine intelligente und gleichzeitig engagierte Schau zu diesem schon alles auf „unserer“ Welt bestimmenden Thema vorzustellen. „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ überzeugt vor allem deshalb, weil die ausgewählten Arbeiten der 10 Künstler*innen immer wieder klar benennen, wer die bereits eingetretene Klimakatastrophe zu verantworten hat: Eine anthropozentrische Weltsicht, die sich Natur und Umwelt Untertan macht und sie dabei skrupellos als auszubeutende Ressource missbraucht.

Dieser desaströse Prozess beginnt mit der Unterordnung der Natur mit Hilfe von symbolischen Kategorien, die unsere Umwelt mit logozentrischer Konsequenz nach ihrer Verwertbarkeit klassifizieren. Genau dieses war ein wiederkehrendes Thema des vor kurzem verstorbenen Künstlers Lois Weinberger, etwa als dieser über die ökonomische und eben nicht biologische Bedingtheit von Begriffen wie „Kraut“ und „Unkraut“ nachdachte. Und so beginnt die von Christiane Mennicke-Schwarz, Vincent Schier und Robert Thiele klug kuratierte Ausstellung dann auch mit Arbeiten des Österreichers, z. B. mit seiner Skulptur „Invasion“, 2013. Eine überlebensgroße menschliche Figur, es handelt sich um eine Schaufensterpuppe, ist überwuchert mit Zunderschwärmen. Dieser Pilz gilt einerseits als „Parasit“, andererseits wird er genutzt zum Entzünden von Feuer oder als blutstillendes Mittel. Es bleibt also eine offene Frage bei dieser „Invasion“, ob es sich da um ein feindliches Eindringen oder um eine partnerschaftliche Symbiose handelt.

Gleich die nächste Arbeit der Ausstellung, Sonya Schönbergers starke Installation „Kenya Roses for the Kingdom“, reflektiert wie solch symbolische Ordnungen eingebunden sind in globalisierte ökonomische Strukturen. Schönberger hat im Internet über die „Rosenindustrie“ im ostafrikanischen Kenia recherchiert. Das ehemalige Kolonialland ist das inzwischen drittgrößte Exportland für Schnittblumen, für Blumen also, die als „schön“ klassifiziert sind und nicht zuletzt dem Heim europäischer Bürger*Innn den Hauch von Natürlichkeit besorgen sollen. „Produziert“ werden diese zu Konsumgüter gewordenen Pflanzen u.a. an den Ufern des Naivasha-Sees, der einst für seine Artenvielfalt bekannt war. Schönberger dokumentiert mit ihrer Recherche, deren Ergebnis in einem 30minütigenVideo zu sehen sind, die skandalösen Arbeitsbedingungen in der „Rosenindustrie“ sowie die Auswirkungen dieser auf das dortige Ökosystem. Zu dem Video zeigt die Künstlerin eine Fotoserie mit Schnittblumen aus Kenya, die dann in Londoner Geschäften zu Tiefstpreisen verkauft werden…

Volker Kreidlers Installation „Dritte Landschaft“, 2014 /16, zeigt dann auf, zu welchen Konsequenzen der Kontrollverlust bei der rücksichtslosen Instrumentalisierung von Naturbeherrschung führen kann. In seiner raumfüllenden Installation ist u.a. auf großformatigen Fotografien zu sehen, wie im Sperrgebiet von Tschernobyl, 30 Jahre nach dem GaU an dem Reaktorblock 4 des dortigen Kernkraftwerks, die Natur langsam sich als selbst regulierendes Ökosystem neu, überaus wuchernd ausbreitet. Mit dem Titel seiner Arbeit bezieht sich Volker Kreidler übrigens auf Überlegungen des französischen Botanikers und Entomologen Gilles Clement, der unter „dritte Landschaft“ eine „Folgelandschaft“ versteht, die der „zweiten“, durch die menschliche Nutzung „überformten Landschaft“ folgt.

Das Video „Night Soil – Nocturnal Gardening“, 2016, von Melanie Bonajo schließlich fungiert in der sehr bedenkenswerten Ausstellung gleichsam als „real-utopistischer“ Gegenentwurf zu anthropozentrisch orientierten Lebenshaltungen. Das Video rückt vier Frauen in ihren Fokus, die in unterschiedlicher Weise ökologisch sinnvolle Arbeit leisten, gerade weil sie sich konsequent jedweder kapitalistischer Verwertungslogik gezielt verweigern. Ein der Protagonistinnen z. B. sammelt und jagt all das Essen, das sie braucht um ihre Familie bewusst ernähren zu können, eine andere betreibt einen Gemeinschaftsgarten, dessen Erträge auch denen zur Verfügung stehen, die sich eigentlich keine teure Bio-Kost leisten können. Eine dritte Frau rettet Schweine vor dem Schlachthof und fordert dann in einer Art gemeinschaftlicher Meditation mit diesen Tieren die Modalitäten unseres Konsumverhaltens heraus. Massentierhaltung hat da endlich keine Chance mehr – nicht zuletzt weil diese Frauen ihr Leben unter eigener Kontrolle haben.

Mehr Texte von Raimar Stange

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Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer
20.06 - 04.10.2020

Kunsthaus Dresden
01097 Dresden, Rähnitzgasse 8
Tel: +49 351 804 14 56, Fax: +49 (0)351-804 15 82
Email: kunsthaus@dresden.de
http://www.kunsthausdresden.de/
Öffnungszeiten: Di-Do 14-19, Fr-So 11-19 h


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