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Zenita Komad - Der Krieg ist aus!: „Art is a doctor” (and therapist)

„Der Krieg ist aus“ prangt da auf knapp 50 wuchtig über- und nebeneinander auf dem Boden gestapelten Baumstämmen, die das Areal des Burghofes füllen. Nähert man sich der Installation von unten, sieht man nichts als ein dichtes Baumgewirr vor sich, das erst in der Vogelperspektive beim Aufgang über die Treppe zu den MMKK-Schauräumen lesbare Gestalt annimmt: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, es braucht den Abstand, um klare Sicht zu erlangen. Mit zunehmender Distanz hat sich das Chaos dann in eine eindeutige Botschaft aufgelöst. Und dass es vor dem Hintergrund derzeitiger Klimakatastrophen die uns um die Ohren fliegenden, umgestürzten Baumstämme sind, die da herumliegen, ist kein Zufall. Mag es der Versuch der Künstlerin sein, Bezug auf die Stimme der Natur nehmen, die als Mahnruf den falschen Weg des Menschen anprangert, schafft sie es zeitgleich, den Appell der gegenseitigen Achtsamkeit aufs gesellschaftliche Zusammenleben zu übertragen. Sie erklärt den Krieg für beendet. In ihrer Kunst zumindest, aber mit Wirkung darüber hinaus. Der Aussage ist ein utopischer Charakter nicht abzusprechen. Und doch fasst Komad - das wird bereits in dieser Installation augenscheinlich - äußere Zustände als Spiegel des Inneren auf. Ihre Werke suggerieren, dass das Verständnis eines Umdenkens nur aus der inneren Einstellung heraus entspringen kann. Wer den Appell ernst nimmt, hat mit sich und seiner Umwelt Frieden gefunden. Die Redewendung „mit sich selbst im reinen sein“ triffts da wohl ganz gut. Für Komad ist das auch erster Schritt und Bedingung eines möglichen Weltfriedens. Dieser Gedanke - im Burghof noch etwas in die Luft geworfen - kreist in der Ausstellung weiter, er erhält philosophischen Unterbau.

Im Entrée ist dann eine Ortstafel mit dem Jesuszitat „Liebe deinen Nächsten“ zu sehen, die bereits Charakter einer Aufforderung besitzt. Eine auf dem chinesischen „I-Ging“, dem Buch der Wandlungen, basierende Installation knüpft inhaltlich daran an. Die mehr als die Hälfte des Raumes füllende Arbeit besteht aus einem Konvolut schwarzer Striche auf weißem Untergrund, durchbrochen nur von einer sich in der Mitte auftuenden Skulptur in Grün, Weiß und Rot. Die Linien, wovon einige mittig durchbrochen, andere durchgängig, stehen symbolisch für drei Schlüsselelemente, die Basis des funktionierenden Gleichgewichts bilden. Die Rede ist von der Erde, dem Himmel und den Frieden, letzterer ergibt sich als Resultat aus den Beiden, sofern die Balance denn stimmt. Alles umfassend ziehen sich die Elemente von gelegten Tüchern am Boden über drei bemalte Wandseiten hinweg. „When heaven kisses earth“ nennt sich diese Installation, in der die Künstlerin das schwarz-weiß Malen mit schwarz-weiß Farben durchbricht. Der Titel der Arbeit ist paradigmatisch. So wie alle Gegensätze – Mann und Frau, Hell und Dunkel, Sonne und Mond, Orient und Okzident – nicht ohne einander können, kann es nur die Voraussetzung allen Friedens sein, dass sie sich beginnen, harmonisch ineinander zu verschränken. Der Himmel soll die Erde küssen, wie es der Titel der Arbeit beschreibt. Schließlich kann sich erst aus dieser zärtlichen Umarmung, so die auf „I-Ging“ basierende Überlegung der Künstlerin, die Geburt des Neuen herausbilden, das hier in einem aus der dualistischen Realität herausstechenden, vereinten bunten Kleid visualisiert wird.

Wie ein roter Faden hangelt sich die Überlegung der gegenseitigen Bedingung der Menschheit durch die Schau hindurch. Zart, mit feinsten Linienverstrickungen geht die gebürtige Kärntnerin Verbindungen nach, die sich zwischen materieller und spiritueller Realität bewegen. Komads Interesse an der Spiritualität ist nicht nur religiös bedingt, geschweige denn an eine bestimmte Religion gebunden, es ergibt sich als Pluralismus diverser Anschauungen, die vom Konfuzianismus bis hinein in die christliche Ikonografie reichen. Die Basis hierfür bildet, dass sie sich keiner bestimmten Religion zugehörig fühlt, sondern aus dem ganzen Konvolut schöpft. So tritt das Verbindende, der gemeinsame Nenner, vor dem Trennenden einzelner Positionen, sprich Religionen. Das gibt ihr die Freiheit unterschiedliche spirituelle Erkenntnisse miteinander zu verknüpfen, ja nebeneinander stehen zu lassen. Die heutige Realität schwingt in Komads Schaffen mit, aber immer vor dem Hintergrund eines Umdenkens, einer „Neuprogrammierung“ des Menschen. Hinzu gesellt sich Komads Interesse am Theater als Kind einer Opernsängerin, die in der Kulissenhaftigkeit ihrer Installationen Ausdruck findet. Komad lässt Bilder ins Räumliche ausarten. Sie lässt Objekte unmittelbar in Konfrontation zu den Betrachter:innen aus dem Bild treten. Zeitgleich nimmt sie sich heraus, den Kunstbetrieb und die Erhöhung von Einzelkunstwerken in eine fast göttliche Sphäre zu kritisieren. Mit der bereits 2008 entstandenen Arbeit „Houses of cards“ – in Raum gestellte, zu einem Kartenhaus zusammengefügte Leinwände – nivelliert sie die Bedeutung des Einzelbildes, durchaus mit scherzhafter Anspielung auf das Kartenhaus als fragiles Konstrukt selbst.

Zu den roten Fäden sei gesagt, dass sie sich in den Räumen dann auch gegenständlich fortspinnen. Zu diesem Zwecke tut sich in den kontemplativ durch rote Schnüre verbundenen Räumen 2 und 4 eine Landkarte ganz hinten auf, von der aus das Schnurrgewirr seinen Anfang nimmt, sich in einen Knoten versammelt und in einem überdimensionalen gelben Stethoskop sowie einem Lehmbild übergeht, das die Aufschrift „Wir sind ein Leib“ trägt. Die roten Schnüre, hier ihre Fäden von hinten bis nach vorne, von der Vergangenheit in die Gegenwart bis in die Zukunft ziehend, verheddern sich, sind auf einer Spule, ein Symbol bevorstehender Arbeit, sich über alle Widerstände und Meinungsverschiedenheiten hinweg zu verbinden, festgemacht oder aber werfen ihre Schatten auf das sterile Weiß des White-Cube. Mal baumeln sie vom Plafond herab. Mal sind sie starr und festgezogen. Wesentlich ist, dass sie einer die die Wirtschaftswege des Kolonialismus aufgreifenden Handelskarte aus 1929 entspringen. Man denke hier auch an die als Referenz aufgegriffene biblische Erzählung der 70 Völker, die sich in Babylon zerstritten und eine Sprachverwirrung als Keim des Übels ausgelöst haben. Die Fäden haben sich so entzweit und gelöst, sie müssen erst wieder zueinander finden. Den Völkern tritt Abraham gegenüber, der zur Versöhnung aufrief, was wiederum im Knoten Ausdruck findet, in welchen die Fäden kurzzeitig übergehen. Die Realität ist anders, die Schnüre verlieren sich wieder. Das Naturell der überheblichen Spezies Mensch muss als weitere Konsequenz erst untersucht werden, die Installation geht in den vorderen Raum über. Stethoskop und Lehmbild mit von den Korintherbriefen aufgegriffenem Zitat („Wir sind ein Leib“) stehen paradigmatisch für Diagnose und Heilung, die den Prozess abschließt.

Oft kommt die Künstlerin mit schlicht anmutenden Objekten aus, die eine Vielzahl an versteckten Details in sich tragen. Man nehme die eben genannte Installation „It´s time to change the record“, die sich nur aus einer Handvoll differenter Objekte - Landkarte, Schnüre, Spule, Wandobjekt und Stethoskop - zusammenbastelt und sich doch vom alten Testament, der babylonischen Sprachverwirrung über den Kolonialismus bis hinein ins Heute schlängelt. Man denke auch an die immer wieder aufpoppenden Schlüsselbilder Komads, bestehend aus einem überdimensionalen, in einem aus unterschiedlichsten Materialien wie Sand oder Moos überzogenen Leinwand steckenden Schlüssel, der all das in sich versammelt, was an Vorarbeit im Geiste nötig ist, um zur funktionierenden Gesellschaft zu gelangen. Wie der Schlüssel die Tür hinter das Sichtbare geschlossen hält und unfähig ist, sich von selbst zu drehen, ist es in Analogie dazu ein übergroßer Füller auf Leinwand, der aufs geschriebene Wort verweist und dazu plädiert, den Stift als Instrument des Denkens für den Frieden einzusetzen. Der Gedanke wird nochmals in anderer Weise in einem überdimensionalen, vor einem Sandspielplatz aufgebauten Bleistift aufgegriffen, dem die Funktion eines verlängerten Arms des Denkens zukommt, der dann in den erneut auftauchenden roten Fäden zu einer Lebensblume gezogen wird. Das hier angedeutete Plädoyer für eine integralere Form im Bildungssektor mündet schließlich in einem installativen Wandbild von Marie Curie einer von ihr entdeckten radioaktiven Substanz in der Hand. Die Intervention kann in eine positive als auch negative Richtung schlagen. Wird sie zur nächsten Atombombe oder zur Friedensbemühung? Abermals spannt sich der Bogen zur gesellschaftlichen Verantwortung des Einzelindividuums hin. Wie verwoben wir als Gesellschaft sind, greift dann wiederum ein von an der Decke hängendes Kunstwerk mit Zahnrad auf. Es referiert auf die Gebundenheit der Menschheit aneinander und der essentielle Rolle Einzelner als Bindeglied, damit das Rad nicht zu stocken beginnt. Man denke in diesem Kontext auch an die Installation „GOTT IST (nicht) NICHTS“ mit ihren sandgefüllten Pendeln – eines davon schon aus dem Lot gekommen – die die Theorie des Foucaultschen Pendels aufgreift und aufzeigt, dass jede kleinste Bewegung das Gesamtsystem aus dem Ebengewicht bringen kann. Die Linie wird weitergezogen zu Gedankenexperimenten wie einer alle Macht gegen die Relevanz der Bedeutung ersetzenden Schreibmaschine, einem von einer Katze im Käfig gehalten Menschen sowie einem sanft von einem Schmetterling beflügelten Julian Assange. Ein ganzes Konvolut an pazifistischen Gedankenspielen findet sich dann noch im von kleinformatigen Arbeiten – darunter 3-D Drucke und Collagen – durchzogenen Raum 3. Mit bunten Zeichnungen so leichtfüßig daherkommend, filtert sich bei der Beschäftigung der sich hier ausbreitenden Statements erst die Wucht heraus, die ihnen untergründig innewohnt. Den Bildnissen, die hier hängen, lässt sich eine Gesellschaftskritik nicht absprechen, die mal nüchtern, mal ironisch, dann wiederum bissig sein kann: Da wird dann das „Ich“ und „Du“ auf einem Wäglein abgewogen, die Dialektik zum Spielverderber erklärt. Ein Aufruf wird gestartet, das Denken von der Leine zu lassen.

Zenita Komad geht es nicht um die Abbildung der Realität, sondern um die Heraufbeschwörung einer Realität, die möglich ist, wenn man nur möchte. Die Ausstellung diagnostiziert gesellschaftliches Fehlverhalten. Sie regt zur Selbstreflexion an, leitet zur Selbstheilung über. So versteht sich „Art is a doctor“ symbolisch wie ein ärztlicher Eingriff aus pazifistischem Doktrin, der von den Besucher:innen ausgehend eine Katharsis vollziehen lässt. Vor dem Hintergrund Komads Kunst könnte man das Motto um „Art is a therapy“ ergänzen, da es in der Ausstellung - durchaus als Konsequenz zu „Art Is a doctor“ - darum geht, selbstbestimmt seine Schlüsse aus dem Gesehenen zu ziehen. Die Ausstellung gibt Inspiration, will aber nichts aufdrängen, außer das Plädoyer, sich gegenseitig die Hände zu reichen. In einer anhaltenden Kriegsrealität benötigt es Stimmen für den Frieden. In dem Sinne kommt Komad durchaus die Rolle einer Bertha von Suttner des 21. Jahrhunderts zu.

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Florian Gucher ist artmagazine Stipendiat 2023
Wir danken der   für die Unterstützung des artmagazine-Stipendiatenprogramms

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Zenita Komad - Der Krieg ist aus!
08.02 - 19.05.2024

MMKK Museum Moderner Kunst Kärnten
9020 Klagenfurt, Burggasse 8/Domgasse
Tel: +43 50 536 30 507
Email: office.museum@ktn.gv.at
http://www.mmkk.at/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr


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