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Rebecca Saunders - Rockaby (2017-2024): Wirklich ausgesprochen

Ein Stuhlkreis, in intimes Halbdunkel getaucht. Fast fühlt man sich, als würde man ein Speakeasy betreten, um ein heimliches Gespräch zu führen. Und eigentlich ist genau das auch der Fall.

Das Publikum erwartet die Uraufführung von Rockaby, einer “konzertante[n] Collage für fünf Musiker:innen und 200 Spieluhren”. Sie umfasst vier unabhängig voneinander entstandene Werke Saunders‘ von 2004 bis 2023. Die Spieluhren stehen schweigend in der Mitte des Kreises und alle fragen sich, wann und wie sie wohl zum Einsatz kommen.

Im ersten Stück, Blaauw, manifestiert sich bereits ein wichtiges Thema der Collage: Dualismus und Gegenüberstellung. Während die Solo-Trompete zu Beginn nicht mehr als ein Flüstern von sich gibt, wirft sie sich im Laufe des Stückes zu einer knarzenden Jazztrompete auf, in Klangwellen leiser und lauter, unentschieden. Es wirkt, die Melodie weiche einer Melodik aus: sie will mehr Panorama als Drama sein.
Unterbrochen wird die Trompete dann durch das Klavierstück to an utterance. Fast fällt das Klavier der Trompete ins Wort, auch die Melodie klingt, als würde das Klavier vor sich hinmurmeln. Eine Gesprächssituation, zwischen Klavier und Trompete, zwischen Ensemble und Publikum, und schließlich auch den Spieluhren, auf die man beim Zuhören deutlich gespannt gewartet hatte. Mehr oder weniger gleichzeitig spielen sie alles zwischen Brahms, Happy Birthday und alten Kinderliedern. Zur Nostalgie der Spieluhren klingt das Klavier leise aus.

To & fro für Geige und Oboe gleicht in mancher Hinsicht dem Beginn der Collage: Atmosphärische, wellenartige Klänge, weniger melodisch als das Klavierstück.

Ähnlich gleicht auch das letzte Stück, Breath für ein Geigenduo, mehr dem zweiten Teil. Ein musikalischer Kreuzreim, oder vielleicht wiederum ein Dialog.

Zum Schluss finden die wichtigsten Motive der vier Teile zusammen. Die Trompete flüstert, das Klavier murmelt, die Geigen und die Oboe diskutieren munter im Zwiegespräch. Zuletzt noch einmal die Spieluhren. Breath ist merklich das Stück, das als letztes komponiert wurde. Saunders setzt einen Punkt nach ihrem Kreuzreim und verbindet so mit dem letzten Teil nicht nur die vier zuvor eigenständigen Stücke, sondern auch sieben Jahre kompositorischer Arbeit.

Der Titel Rockaby spielt auf ein Theaterstück von Samuel Beckett an, das wiederum auf ein altes Wiegenlied anspielt. “Rock-a-bye baby on the tree top, when the wind blows the cradle will rock. When the bough breaks, the cradle will fall, and down come the baby, cradle and all.” Der Wind ist Teilen der Klangcollage zu hören, in den Wellen der an- und abschwellenden Melodie auch das hin und her der Wiege. Gegenüberstellung wie in einem Gespräch, bei dem man sich gegenübersitzt. Gegenüberstellung von laut und leise, von melodisch und atmosphärisch. Gegenüberstellung von Leben und Tod, das Baby fällt, die Melodie erstirbt, und dazu die laufenden Spieluhren - ein ständiges memento mori. To an utterance als Titel ist hier vielleicht das beste Beispiel: to utter, etwas (murmelnd) aussprechen. To an utterance, bis zum bitteren Ende.

Schweigen, bis die erste Person sich traut, zu klatschen. Applaus, dann wieder schweigen, während das Publikum nachdenklich das Speakeasy verlässt. Kein Wunder, es wurde gesagt, was zu sagen war.

Mehr Texte von Veronika Metzger

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Rebecca Saunders - Rockaby (2017-2024)
09.03 - 28.04.2024

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