Die Wiederkehr als Bildschirmschoner
Narziss und Self-Dating
Dating ist ein merkwürdiges sprachliches Bild. Mit jemand ein Date haben, meint, verabredet zu sein. Verabredet wird ein Zeitpunkt des Treffens. Man reserviert einen Eintrag im Terminkalender. Das Wort lehnt sich ja an das lateinische Datum an. Jemanden zu daten bezeichnet dagegen, mit einer Person eine mehr oder weniger dauerhafte Beziehung eingehen. Nicht der Zeitpunkt spielt eine Rolle, sondern Verbindlichkeit und beständiger Intimkontakt. Anders gesagt, man sichert einer ausgewählten Person einen dauerhaften Eintrag im Terminkalender. Ich fand diese Wortbiegung immer schon etwas unbeholfen. Obwohl die deutschsprachige Variante: mit jemanden gehen auch kein sprachlicher Gewinn ist. Nun aber kommt eine neue Variante ins Spiel, die für noch mehr Verwirrung sorgen dürfte: die Mode des Self-Dating. Das bedeutet, man trägt einen Termin für sich im Kalender ein. Angestrebt wird eine libidinöse Zeit mit sich allein. Das ist durchaus ernst gemeint. Ausgangspunkt ist die verbreitete These, man müsse sich selbst mögen, um befähigt zu sein, andere zu mögen. Vertrauen und Balance im eigenen Ich dienen der Stärkung der Bindungsfähigkeit. Wem es an Selbstvertrauen mangelt, der solle es “faken”, bis er/sie es glaubt. Es ist schwer, sich diese Übungseinheiten in Selbstbegehren vorzustellen. Vor allem in der Praxis von Tagesgeschäft und Terminplanung: Bedeutet Self-Dating ein Glas Sekt mit mir allein, eine genussvolle, intime Begegnung unter Kerzenlicht als gedoppelter Single? Oder geht es um einen gemeinsamen Besuch in der Yoga-Gruppe oder beim Workout? Oder ist die misanthropische Variante gemeint? Man sinniert als Absinthtrinker/in im umnachtetem Zustand, wie Degas und Picasso diese Szene gemalt haben, vereinsamt zu zweit vor einem Spiegel? Und wie steht es um die Hausarbeit? Bedeutet das eine gute Nachricht für alle Alleinerzieher/Innen? Lästige Aufgaben werden in Hinkunft zwischen mir und meinesgleichen fair geteilt. Wie auch immer. Im Unterschied zu anderen kuriosen Selbstoptimierungsideen fallen beim Self-Dating ausnahmsweise keine Kosten für Trainer/innen und Coaches an. Auch keine Anmeldegebühren. Zudem halbieren sich die Budgets für Kinobesuche, Urlaubsfahrten und Doppelbetten.
Ed Atkins: Happy Birthday, Videostill, 2014, Courtesy: Gavin Brown’s Enterprise, New York
Nun ist es leicht, sich über solche Therapievorschläge lustig zu machen. Vieles daran ist absurd. Was diese Vorschläge der Ich-Stärkung aber wirklich als Unfug entlarvt, ist die übersehene Tatsache, dass Selbsterfahrung kein exquisites Ausnahmeerlebnis, sondern unumgänglicher Teil menschlichen Existierens ist. Self-Dating ist permanent. Wie David Hume schon sagte: Ich treffe mich nie ohne eine Perzeption an und niemals kann ich etwas beobachten ohne eine Perzeption. Ich bin immer mit mir zu zweit. Das gilt insbesondere für die Selbstwahrnehmung. Nur unter Drogen kann diese Vorbedingung außer Kraft gesetzt werden. Seit jeher liegt deshalb die Vermutung nahe, dass dies der Grund ist, warum wir Beziehungen mit anderen Personen eingehen. Sie befreien uns von dem Kurzschluss immanenter Ich-Perzeption. Der Parallellauf der Existenz beginnt mit dem Augenkontakt. Das Individuelle, d.h. wörtlich das Unteilbare, öffnet sich durch die Selbstbegegnung im Bild. Ist es doch der Spiegel, in dem wir uns - Lacan zufolge - zuerst im Alter von acht Monaten erkennen. Wir stellen eine körperliche Identität fest, allerdings durch den Vorgang einer Trennung. Dass diese Begegnungen nicht immer zum Glück verhelfen, sondern verheerend oder sogar tödlich sein können, wissen wir seit der Antike. Der Mythos berichtet von Narziss und wie er seinerzeit einem erfolgreichen Self-Dating erlag. Sein tragisches Spiegelerlebnis würde heute allerdings anders verlaufen. Narziss würde sich nicht in einem abgeschiedenen Weiher verlieren, sondern in einem tausendfach replizierten Ich. Er, der Jüngling, wäre heute gewiss ein Social Media-Nerd oder Selfie-Opfer. Darum würde der mythische Ich-Liebende wohl nicht als trauernde Blume wiederauferstehen, sondern - wie ein Cartoon kürzlich suggerierte - als Bildschirmschoner ruhelos und ewig vor sich hin flackern.